Mit Wort und Klang den Frühling begrüßt

„Springtime“: Der „coro per resistencia“ huldigte am Sonntagabend in der Rudolf-Steiner-Schule musikalisch dem allmählich erwachenden Frühjahr

NÜRTa88037179i0013_max1024xINGEN. Bei keineswegs frühlingshaften Außentemperaturen hatte der Nürtinger Chor „coro per resistencia“ am Sonntagabend zu einem kurzweiligen Chorkonzert mit Musik und Texten zum Frühling in den Konzertsaal der Rudolf-Steiner-Schule eingeladen. Im Wechsel von A-cappella-Werken aus fünf Jahrhunderten und ebenso vielfältiger Lyrik wurde die aktuelle Jahreszeit aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Bekanntere und unbekannte Komponisten haben sich zu allen Zeiten und in vielen Ländern und Sprachen musikalisch mit dem Erwachen der Natur, mit dem Licht, dem Duft und den Farben des Frühjahrs beschäftigt und diese Wahrnehmungen in ihre jeweilige Musiksprache umgesetzt. So bereits Palestrina im 16. Jahrhundert, der Zeit der altklassischen Vokalpolyphonie, mit dem Madrigal „I vaghi fiori“ („die anmutigen Blumen“). Noch früher, schon im 15. Jahrhundert, besang Clement Jannequin das Erwachen der Liebesgefühle im Monat Mai in durchaus erotischer Sprache in seinem Chanson „Ce mois de may“. Auch vertonte er lautmalerisch den Gesang der Nachtigall im „Chant des oiseaux“.

In der Romantik wurde der Flora und Fauna überschwänglich gehuldigt

In der Zeit der musikalischen Romantik wurde natürlich der Flora und Fauna überschwänglich gehuldigt, so von Robert Franz, der Mörikes Gedicht „Er ist’s“ in gefühlvoller Tonsprache interpretiert. Auch Felix Mendelssohn vertonte seine Frühlingsgefühle mit den Worten von Ludwig Uhlands „Frühlingsahnung“.

Wer aber glaubt, in modernen Zeiten sei die vokale Musik nicht mehr in der Lage, menschliche Gefühle und Regungen gebührend aufzuzeigen, der konnte sich in den skandinavischen Liedern Sven-Erik Bäcks, Wilhelm Peterson-Bergers oder Karin Höghielms vom Gegenteil überzeugen. Letztere appelliert in „Earth Call“ mit eindringlichen und aufregenden Taktwechseln und gesungenen Windgeräuschen an das Bewusstsein für den Erhalt der Natur und den Frieden zwischen den Menschen und den Kreaturen auf diesem Planeten.

Schon immer war es dem „coro“ ein großes Anliegen, politische und gesellschaftskritische Aussagen mit seiner Musik zu verbreiten. Dies war auch in der Zusammenstellung dieses Programms deutlich erkennbar. So im Strophenlied „’s ist wieder März geworden“ des zeitgenössischen Komponisten Jürgen Knuth, welcher in einem Gedicht Seckendorffs das Scheitern der Revolution von 1848 thematisiert und die damalige Hoffnung auf eine demokratische Neuordnung Deutschlands.

Einer der vielen musikalischen Höhepunkte des Abends war sicherlich das Stück „Plainscapes“ des zeitgenössischen lettischen Komponisten Peteris Vasks, in dem der „coro“ mit Vokalsilben einen Klangteppich wob, auf dem sich die beiden jungen Streicherinnen Kathrin und Sophie Scheungraber mit Geige und Cello in teilweise atemberaubenden Wechsel zwischen Tonalität und atonalen Improvisationen und mit sphärischen Flageoletttönen gleichsam in die Lüfte des Frühjahrs schwangen. Dies mit höchster technischer und musikalischer Präzision. Aus dem Chor war dazu gepfiffenes Vogelgezwitscher zu vernehmen.

Die beiden jungen Musikerinnen zeigten ihr herausragendes Können später im Klaviertrio „Primavera portena“ des argentinischen Tangospezialisten Astor Piazzolla. Chorleiter Fabian Wöhrle wechselte hierzu an den Flügel und bewies hier seine pianistische Virtuosität. Als wunderbar passende Ergänzung zum musikalischen Programm des „coro“ rezitierten die beiden jungen Sprechkünstler Nora Krauter und Philipp Falser abwechselnd Gedichte von Uhland, Brecht, Hesse, Rose Ausländer, Mascha Kaléko, Friedrich Rückert und vom lyrischen Lautmaler Ernst Jandl. Auch in den durchweg auswendig und sehr lebendig vorgetragenen Textbeiträgen wurden neben der Frühlingsidylle immer wieder kritische Akzente gesetzt, so in Brechts „Mailied der Kinder“, in dem er die Tradition der Maikundgebungen der Arbeiterbewegung verarbeitet.

Der „coro per resistencia“ zeigte sich einmal mehr musikalisch sehr vielseitig und flexibel, stimmlich angenehm ausgewogen und immer intonationssicher und präsent dank des präzisen Dirigats seines Chorleiters Fabian Wöhrle. Die Zuhörer dankten dies mit anhaltendem Applaus, der mit einem jiddischen Liebeslied, unterstützt durch Tangorhythmen des Streicherduos Scheungraber, als Zugabe belohnt wurde.

 

Konzertbesprechung aus der Nürtinger Zeitung v. 27.4.2016

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