coro per resistencia mit begeisterndem Konzert: Der Weg zur inneren und äußeren Freiheit

Erfolgreiche Uraufführung des Werks „Die Konferenz der Vögel“ von Marie-Valérie Track im Rudolf-Steiner-Saal durch den coro per resistencia unter Leitung von Fabian Wöhrle.

Den langen Schlussapplaus haben sie verdient: Sprecherin Isabelle Demey, Komponistin Marie-Valérie Track, Dirigent Fabian Wöhrle, Mezzo-Sopranistin Sarah-Lena Eitrich (Erste Reihe von links), der coro per resistencia und das Instrumental-Ensemble. Foto: Hans-Günther Driess

Nürtingen. Die Parabel „Konferenz der Vögel“ des persischen Dichters Farid ud-Din Attar bildet die Textgrundlage für ein Werk der Plochinger Musikerin Marie-Valérie Track, das der coro per resistencia am Samstag im ausverkauften Rudolf-Steiner-Saal mit großem Erfolg zur Uraufführung brachte. Es handelt sich um eine Auftragskomposition des Nürtinger Chors. Die dreiteilige Parabel beschreibt die Suche der Vögel nach dem einen wahren Gott, dem „Dreißigvogel Simorgh“. Diese Suche wird zur Reise durch die sieben Täler, in deren Verlauf die Vögel Schmerz und Verlust, Liebe und Angst, Not und Armut erleben.

Am Ende erreichen von dem ursprünglich riesigen Vogelschwarm lediglich 30 Vögel das Ziel, nämlich den Palast des Vogels Simorgh. Die Erkenntnis, dass der wahre Gott „Simorgh“ als Kompass in ihnen selbst ruht, erfolgt erst, nachdem sie alle Verluste und Nöte der Selbsterkenntnis durchlitten haben. Diese Erkenntnis, welche die Vögel erlangen, dass der eine wahre Gott in uns selbst schlummert und nur in der Gemeinschaft werden und leben kann, führt endlich zu ihrer inneren und äußeren Freiheit und begründet ihr Sein, Fühlen, Denken und Handeln.

Beeindruckendes Kunstwerk

Marie-Valérie Track hat mit ihrer Komposition ein interessantes und beeindruckendes Kunstwerk geschaffen für Mezzo-Sopran, Sprecherin, gemischten Chor und Instrumentalensemble. Neben klassisch-europäischen Instrumenten kommen auch Instrumente des persischen Kulturraums wie Santur (Hackbrett) und Rhubab (persische Laute) zum Einsatz. Ferner ergeben sich durch Hinzunahme weiterer Texte von Matthias Claudius, Johann Gottfried Herder und Chahla Chafiq vielfältige Beziehungen sowohl zwischen Orient und Okzident als auch zwischen gestern und heute.

Der Komponistin gelingt fernab jeder Effekthascherei ein Tiefgang der musikalischen Aussage, der dem anspruchsvollen Inhalt gerecht wird. In jeder der 28 Nummern wird der Bezug zwischen dem jeweiligen Textinhalt und der Musik verdeutlicht mit allen musikalischen Parametern. Melodik, Rhythmik, Klangfarben, Lautstärke- und Tempoänderungen stellt Track treffsicher in den Dienst des Textes.

Hervorragende Chorstimmen – souveräner Dirigent

Dem Chor kommt eine tragende Rolle, ja eigentlich die Hauptrolle zu. Er kommentiert ganz im Stile des antiken Dramas oder der frühen Barockoper die Handlung und kann sich dadurch im Verlauf des Abends mit ganz unterschiedlichem Ausdruck exponieren. Die Choristen sind stimmlich gut ausgebildet, artikulieren deutlich, Vokalausgleich und Ausgewogenheit der Stimmregister sind vorbildlich und die Atemtechnik bringt eine für einen Laienchor überdurchschnittlich gute Intonation zutage. Dies und mehr ist das Verdienst von Fabian Wöhrle. Er hat seinen Chor gut vorbereitet und führt ihn mit sicherem Dirigat und energischem Zupacken, insbesondere bei den zahlreichen Turba-Chören – dramatischen Zwischenrufen – die neben choralartig wirkenden ruhigen Passagen an Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion erinnern.

Mit ihrer klar artikulierenden Stimme und bester Erzählkunst lässt Isabelle Demey eine fantasievolle Bilderwelt in den Köpfen der Zuhörer entstehen. Die Solo-Mezzosopranistin Sarah-Lena Eitrich fungiert als mahnende, belehrende Stimme, die von Anfang an den Kurs kennt und mit allerhand Gleichnissen und Erklärungen versucht, die Gemeinschaft zu Vernunft und Einsicht zu bringen. Ihr strahlender Gesang schenkt der Aufführung immer wieder Höhepunkte. Teils markant-resolut, teils weich im Stimmeinsatz intoniert sie mit angenehmem Timbre lupenrein bis in hohe Lagen. Im Instrumentalensemble bleiben keine Wünsche offen hinsichtlich Spieltechnik, Klangfarbenvielfalt und perfektem Zusammenspiel. Jeder Instrumentalist ergreift immer wieder die Gelegenheit, in Solopassagen mit großem Können zu glänzen.

Dem eigentlichen Hauptgeschehen hat Marie-Valérie Track als Auftakt des Werkes ein „Kriegslied“ (Text: Matthias Claudius) vorangestellt, das mit Dissonanzen und neutönerischen Akkorden Kälte und Schroffheit widerspiegelt. Sie sagt: „Wie grausam real ist das Thema heute angesichts des Überfalls Putins auf die Ukraine und des anhaltenden Leids.“

Den beschwerlichen Weg zur Selbsterkenntnis und zum Frieden zeichnet die Musik mit modernen Mitteln nach und wechselt im zweiten Teil folgerichtig in eine versöhnliche, der Epoche Romantik verpflichtete Tonsprache. „Wenn ich ein Vöglein wär“ klingt wie ein Chorlied von Friedrich Silcher und aus dem Satz „Trost – die Seelen der Vögel“ schimmert deutlich Johannes Brahms′ „Guten Abend, gute Nacht“ hervor.

Das begeisterte Publikum lässt die Agierenden erst nach lang anhaltendem Applaus und einer Zugabe von der Bühne. Die zweite ebenfalls ausverkaufte Aufführung fand am Sonntag in Tübingen eine ähnlich positive Resonanz.

Nürtinger Zeitung vom 9. Mai 2023

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