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Musik als Weltsprache

Der coro per resistencia konzertierte zusammen mit Solisten und Orchester im Saal der Rudolf-Steiner-Schule

Der coro per resistencia, Sopranistin Elisabeth Wimmer und das „ensemble flessibile“ ergänzten sich vortrefflich. Foto: Erika Kern

VON HELMUTH KERN 

Es war schon ein ganz besonderes, eindringliches Herbstkonzert des coro per resistencia, das am Sonntag in dem wegen seiner sehr guten Akustik geschätzten Großen Saal der Rudolf-Steiner-Schule unter dem einfühlsamen und behutsamen Dirigat seines Chorleiters Fabian Wöhrle erklang.

Schon das Programm war ein besonderes: Zwei christliche Lobkantaten rahmen zwei Folksong-Zyklen. Fanny Hensels „Lobgesang“ (1831), eine Kantate zum ersten Geburtstag ihres Sohnes, in der Bach’sche Klangwelt in romantischer Anverwandlung erklingt, und Benjamin Brittens „Rejoice in the lamb“ – Freuet euch in dem Lamm (1941), eine Kantate zum 50-jährigen Bestehen der St. Matthew’s Church in Northampton: Eine Vertonung von Ausschnitten außergewöhnlicher Gedichte von Christopher Smart (18. Jahrhundert), in einer der Tonalität verpflichteten Musiksprache.

Dazwischen erklangen zunächst Luciano Berios „Folk Songs“ (1964). Berio hat sie für seine erste Frau Cathy Berberian – bekannt durch ihren außergewöhnlich großen Stimmumfang – komponiert. Es folgte John Rutters (1946) „The Sprig of Thyme“, eine Zusammenstellung von traditionellen englischen, schottischen und irischen Volksliedern, geprägt von vielschichtiger Harmonik und Rhythmik.

Besonders war auch das schmal besetzte Orchester „ensemble flessibile“, lebendig und ausdrucksvoll musizierend, und ein stimmlich präsenter coro per resistencia, sich den teilweise hohen musikalischen Herausforderungen stellend, mit vokalem Potenzial in allen Stimmlagen, mit gut besetzten Männerstimmen.

Die musikalischen Anforderungen hervorragend gemeistert

Besonders auch die Solopartien von versierten und professionellen Sängern im Chor: Felix Preisenberg (Tenor) und Sascha Kecskes (Bariton). Das Ganze krönend Elisabeth Wimmer mit ihrem jungen, strahlenden, sehr modulationsreichen Sopran, die kurzfristig auch den Part der erkrankten Altistin Annelie Sophie Müller mit übernahm. Mit ihr hatte Wöhrle eine profilierte und außergewöhnliche Sängerin gewonnen; sie meisterte die unterschiedlichen musikalischen Anforderungen hervorragend.

In Fanny Hensels „Lobgesang“ machte der „coro“ die musikalische Struktur des Werks und dessen Klangwelt in Eingangs- und Schlusschor hörbar, zeigte Elisabeth Wimmer in Rezitativ (Alt) und Arie (Sopran) ihre am Musikdrama geschulten vokalen Fähigkeiten, mit ihrer tragenden, vollen, bis in höchste Lagen hinein leuchtend reinen Stimme. Dazu ein sehr musikantisch spielendes Orchester, mit seinen neunzehn Instrumentalisten ein voller, sehr dynamischer Klangkörper.

Elisabeth Wimmers Bandbreite an Interpretation wurde in den „Folk Songs“ für Mezzo-Sopran und sieben Instrumente von Luciano Berio deutlich. In seinen Arrangements kommt der Reichtum an Stimmungen und Gefühlen der Volkslieder oder deren Nachempfindung zum Ausdruck. Der Bogen der Lieder reicht von den USA über Armenien, Frankreich, Sizilien, Italien, Sardinien, die Auvergne bis nach Aserbaidschan. Wechselnde Instrumentalbesetzungen mit ihren unterschiedlichen, sehr spannenden und ausdrucksstarken Klangwelten mit überraschenden Harmonieentwicklungen; Instrumente als Dialogpartner der Stimme oder als Klangflächen, über denen sich die Melodie entwickelt. Melancholie, Klage, Sehnsucht. Angst im Lied der Fischerin: düstere Schlagzeugklänge, lustvoller Tanz in der Eigenschöpfung Berios, dem Ballo, oder dem mitreißenden Aserbaidschanischen Liebeslied mit rauschhaftem Rhythmus und der raffinierten, wirkungsvollen Instrumentalbesetzung mit Trommel, Bratsche und Cello als spannendes rhythmisches Fundament. Folk-Songs – ein grandioses Stück wurde in einer sehr eindrücklichen Interpretation von sieben Instrumentalisten geboten: Erich Scheungraber (Viola), Sophie Scheungraber (Violoncello), Viola Tränkle (Flöten), Claudia Sanchez (Klarinette), Eva Bredl (Harfe), Jessica Porter und Johannes Reischmann (Schlagzeug). Das Publikum bedankte sich mit minutenlangem Applaus und Beifallsrufen.

Der Liederzyklus „The Sprig of Thyme“ (Der Thymianzweig) des zeitgenössischen britischen Komponisten John Rutter hat seinen Namen nach dem vierten Lied dieser Sammlung von Volksliedern aus England, Schottland und Irland. Elf sehr abwechslungsreich komponierte Volkslieder sind hier zusammengestellt. Oft ist der Chor einstimmig gehalten, die Orchesterstimmen haben tragende Funktion. Ein Zyklus von Liebesliedern, auch hier in unterschiedlichen Stimmungen, in ihren Eigenarten sehr schön vom Chor, der Solistin und dem Orchester herausgearbeitet.

In Brittens Kantate „verbinden sich viele Einflüsse zu einem neuen Ganzen und dies ergibt zusammen mit der frischen Britten’schen Musik ein augenzwinkerndes Lob der Schöpfung“ (Wöhrle). Chor, Solisten und Orchester spielten diese Facetten beeindruckend aus, entwickelten spannungsvoll die musikalischen Linien, ihre dynamischen Qualitäten – eine Klangwelt voller Brechungen und Harmonien, vielstimmig und psalmodierend, fröhlich und klagend. Am Ende dann ein frohes aufsteigendes und gleichsam wieder zur Erde absteigendes Halleluja.

Frenetischer Applaus des Publikums, Dank für ein sehr eindrückliches Konzert. Dank auch für ein nicht alltägliches, sehr stimmiges Programm, in dem das gesungene Wort, ob chorisch oder solistisch, durchgehend tragendes Element war. Es wurde klar: Musik ist eine Weltsprache, die unmittelbar verstanden werden kann.

Nürtingen Zeitung vom 18.10.2016

The Sprig of Thyme

Im Herbstkonzert am 16.10.2016 um 19 Uhr im Großen Saal der Rudolf-Steiner-Schule, Nürtingen, singt der coro per resistencia selten aufgeführte, kammer¬oratorische Werke.

thymeDas Programm ist symmetrisch angelegt. Anfang und Ende bilden zwei inhaltlich und musikalisch sehr unterschiedliche christliche Lobkantaten. Der „Lobgesang“ von Fanny Hensel, der Schwester Felix Mendelssohns, thematisiert die Geburt ihres Sohnes Sebastian mit Bibelworten in einer an J. S. Bach orientierten, romantischen Klangsprache. Dem steht die Kantate „Rejoice in the Lamb“ von Benjamin Britten auf Texte von Christopher Smart gegenüber. Smart ist von verschiedensten literarischen Einflüssen inspiriert und kreiert mit seinem dem Werk zugrundeliegenden Gedicht „Jubilate agno“ ein sehr humoriges Lob der Schöpfung.

In der Mitte des Konzerts spiegeln sich zwei Folksong-Zyklen. Zunächst erklingen mit Luciano Berios „Folksongs“ für Mezzosopran und eine aparte Besetzung aus Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello, Harfe und Schlagzeug Lieder von den Apalachen der USA bis aus Aserbaidschan. Im zweiten Konzertteil singt der Chor den Zyklus „The Sprig of Thyme“ (Der Thymianzweig) des englischen Komponisten John Rutter und bereichert den Abend um englischsprachige Folksongs, darunter auch die bekannte Weise „Down by the Sally Gardens“.
Einmal mehr öffnet sich der coro per resistencia einer faszinierenden musikalischen Vielfalt!
Ausführende:
Elisabeth Wimmer, Sopran
Annelie Sophie Müller, Alt
Felix Preisenberger, Tenor
Sascha Kecskes, Bariton
Orchester „ensemble flessibile“
coro per resistencia Nürtingen
Leitung: Fabian Wöhrle

Eintritt 18 € (erm. 10 €)

Vorverkauf: Stadtbüro der Nürtinger Zeitung, Am Obertor 15, Tel. 07022 9464 -150,
oder per E-Mail an: karten@coro-nuertingen.de
Zum nächsten Konzert am 21. Mai 2017 lädt Sie der coro per resistencia schon jetzt sehr herzlich nach Nürtingen ein.

 

Mit Wort und Klang den Frühling begrüßt

„Springtime“: Der „coro per resistencia“ huldigte am Sonntagabend in der Rudolf-Steiner-Schule musikalisch dem allmählich erwachenden Frühjahr

NÜRTa88037179i0013_max1024xINGEN. Bei keineswegs frühlingshaften Außentemperaturen hatte der Nürtinger Chor „coro per resistencia“ am Sonntagabend zu einem kurzweiligen Chorkonzert mit Musik und Texten zum Frühling in den Konzertsaal der Rudolf-Steiner-Schule eingeladen. Im Wechsel von A-cappella-Werken aus fünf Jahrhunderten und ebenso vielfältiger Lyrik wurde die aktuelle Jahreszeit aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Bekanntere und unbekannte Komponisten haben sich zu allen Zeiten und in vielen Ländern und Sprachen musikalisch mit dem Erwachen der Natur, mit dem Licht, dem Duft und den Farben des Frühjahrs beschäftigt und diese Wahrnehmungen in ihre jeweilige Musiksprache umgesetzt. So bereits Palestrina im 16. Jahrhundert, der Zeit der altklassischen Vokalpolyphonie, mit dem Madrigal „I vaghi fiori“ („die anmutigen Blumen“). Noch früher, schon im 15. Jahrhundert, besang Clement Jannequin das Erwachen der Liebesgefühle im Monat Mai in durchaus erotischer Sprache in seinem Chanson „Ce mois de may“. Auch vertonte er lautmalerisch den Gesang der Nachtigall im „Chant des oiseaux“.

In der Romantik wurde der Flora und Fauna überschwänglich gehuldigt

In der Zeit der musikalischen Romantik wurde natürlich der Flora und Fauna überschwänglich gehuldigt, so von Robert Franz, der Mörikes Gedicht „Er ist’s“ in gefühlvoller Tonsprache interpretiert. Auch Felix Mendelssohn vertonte seine Frühlingsgefühle mit den Worten von Ludwig Uhlands „Frühlingsahnung“.

Wer aber glaubt, in modernen Zeiten sei die vokale Musik nicht mehr in der Lage, menschliche Gefühle und Regungen gebührend aufzuzeigen, der konnte sich in den skandinavischen Liedern Sven-Erik Bäcks, Wilhelm Peterson-Bergers oder Karin Höghielms vom Gegenteil überzeugen. Letztere appelliert in „Earth Call“ mit eindringlichen und aufregenden Taktwechseln und gesungenen Windgeräuschen an das Bewusstsein für den Erhalt der Natur und den Frieden zwischen den Menschen und den Kreaturen auf diesem Planeten.

Schon immer war es dem „coro“ ein großes Anliegen, politische und gesellschaftskritische Aussagen mit seiner Musik zu verbreiten. Dies war auch in der Zusammenstellung dieses Programms deutlich erkennbar. So im Strophenlied „’s ist wieder März geworden“ des zeitgenössischen Komponisten Jürgen Knuth, welcher in einem Gedicht Seckendorffs das Scheitern der Revolution von 1848 thematisiert und die damalige Hoffnung auf eine demokratische Neuordnung Deutschlands.

Einer der vielen musikalischen Höhepunkte des Abends war sicherlich das Stück „Plainscapes“ des zeitgenössischen lettischen Komponisten Peteris Vasks, in dem der „coro“ mit Vokalsilben einen Klangteppich wob, auf dem sich die beiden jungen Streicherinnen Kathrin und Sophie Scheungraber mit Geige und Cello in teilweise atemberaubenden Wechsel zwischen Tonalität und atonalen Improvisationen und mit sphärischen Flageoletttönen gleichsam in die Lüfte des Frühjahrs schwangen. Dies mit höchster technischer und musikalischer Präzision. Aus dem Chor war dazu gepfiffenes Vogelgezwitscher zu vernehmen.

Die beiden jungen Musikerinnen zeigten ihr herausragendes Können später im Klaviertrio „Primavera portena“ des argentinischen Tangospezialisten Astor Piazzolla. Chorleiter Fabian Wöhrle wechselte hierzu an den Flügel und bewies hier seine pianistische Virtuosität. Als wunderbar passende Ergänzung zum musikalischen Programm des „coro“ rezitierten die beiden jungen Sprechkünstler Nora Krauter und Philipp Falser abwechselnd Gedichte von Uhland, Brecht, Hesse, Rose Ausländer, Mascha Kaléko, Friedrich Rückert und vom lyrischen Lautmaler Ernst Jandl. Auch in den durchweg auswendig und sehr lebendig vorgetragenen Textbeiträgen wurden neben der Frühlingsidylle immer wieder kritische Akzente gesetzt, so in Brechts „Mailied der Kinder“, in dem er die Tradition der Maikundgebungen der Arbeiterbewegung verarbeitet.

Der „coro per resistencia“ zeigte sich einmal mehr musikalisch sehr vielseitig und flexibel, stimmlich angenehm ausgewogen und immer intonationssicher und präsent dank des präzisen Dirigats seines Chorleiters Fabian Wöhrle. Die Zuhörer dankten dies mit anhaltendem Applaus, der mit einem jiddischen Liebeslied, unterstützt durch Tangorhythmen des Streicherduos Scheungraber, als Zugabe belohnt wurde.

 

Konzertbesprechung aus der Nürtinger Zeitung v. 27.4.2016

Springtime

 

Unter dem Titel „Springtime“ singt der Nürtinger coro per resistencia am Sonntag, 24. April, um 19 Uhr in der Nürtinger Rudolf-Steiner-Schule vom Frühling in all seinen Facetten. Das Programm beschreibt einen Bogen von den ersten kargen Vorfrühlingslandschaften hin zum Wonnemonat Mai.

Springtime

Neben Vertonungen von Felix Mendelssohn, Robert Franz und Camille Saint-Saëns, die ein romantisch-verklärtes Frühlingsbild zeichnen, Provenienz, die von der kargen Landschaft vor Eintritt  des Frühlings berichten, so das kurze Stück „Våren“ von Sven-Erik Bäck und das anspruchsvolle Werk „Plainscapes“ des lettischen Komponisten Peteris Vasks, bei dem der  Chor von Violine und Cello begleitet wird. Weiter bekommt die politische Bedeutung des Frühlings, in den Strophen des Liedes „‘S ist wieder März geworden“ von August  Freiherr von Seckendorff Gewicht. Das Werk „Earth-Call“  der norwegischen Komponistin Karin Höghielm ist ein eindringlicher Appell an die Bewahrung der Schöpfung und fordert auf, den Frieden aktiv zu gestalten und zu leben. Pure Frühlingswonnen werden schließlich in Werken von Janequin, Alfvén und Bornefeld besungen. Zur Musik treten Gedichte von Uhland, Rückert, Hesse, Jandl, Ausländer, Brecht und Kaléko, die ebenso unterschiedliche Frühlingserfahrungen und Gefühlswelten beschreiben.

Rezitation:  Nora Krauter und Philipp Falser

Violine:  Kathrin Scheungraber

Violoncello:   Sophie Scheungraber

Chorleitung und Klavier:  Fabian Wöhrle

Zu den Ausführenden:

Nora Krauter ist gebürtige Stuttgarterin. Seit Oktober 2013 studiert sie Sprechkunst und Sprecherziehung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.
Als Sprechkünstlerin stand sie, unter anderem schon für Amnesty International und für die Staatsgalerie auf der Bühne. Neben ihrer Bühnentätigkeit war Nora Krauter bereits als Sprecherin für SWR2, den Hörverlag und diverse Bildungseinrichtungen, wie beispielsweise die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, tätig.

Philipp Falser war zehn Jahre auf den Theaterbühnen unterwegs und wirkte in Produktionen von Volker Lösch, Neco Celik, Bernhard Epstein, Lutz Gotter sowie Jan Krauter mit. In dieser Zeit spielte er an der Staatsoper Stuttgart, dem Staatsschauspiel Stuttgart der Württembergischen Landesbühne und dem Theaterhaus Stuttgart.
Seit 2012 arbeitet Philipp Falser als Regisseur, Sprecher und Trainer. Aus seinen vielfältigen Regiearbeiten ging der Verein Schauspielensemble KUNSTDRUCK e.V. hervor, dessen Ziel es ist die autodidaktische Kunstszene Esslingens zu beleben. Seit der Gründung konnte der Verein bereits einige tausend Zuschauer, von Berlin bis Tübingen, zu seinen Gästen zählen.
Seit 2010 ist Philipp Falser im Stadtjugendring ehrenamtlich engagiert. Er betreut u.a. das Kinderferienprogramm Karamempel. Für sein soziales Engagement erhielt Falser im Juli 2012 den Sozialpreis und im Dezember 2015 den Ehrenamtspreis der Stadt Esslingen. Nach dem Abitur im Frühjahr 2012 absolvierte Philipp Falser ein Freiwilliges Soziales Jahr im Rettungsdienst des Roten Kreuzes. Im Zuge des FSJ bestritt er die Ausbildung zum Rettungssanitäter.
Seit Herbst 2013 studiert er an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellen de Kunst Stuttgart, Sprechkunst und Sprecherziehung. Als Sprecher arbeitet er u.a. für den SWR, die ARD Hörspieltage, Amnesty International, das Hauptstaatsarchiv Stuttgart sowie das Haus der Heimat.

Kathrin Scheungraber, geboren 1989 in Salzburg, erhielt ihren ersten Geigenunterricht bei ihrem Vater, später bei Michael Ewers und Ulrike Stortz. Vor ihrem Abitur  war sie ein Jahr Jungstudentin bei Prof. Kolja Lessing an der Musikhochschule Stuttgart, wo sie von 2009 bis 2013 ihr Bachelorstudium absolvierte. Nach einem Praktikum bei den Stuttgarter Philharmonikern in der Spielzeit 2013/14 folgte der Masterstudiengang in der Klasse von Prof. Stefan Hempel an der HMT Rostock, den sie im Februar 2016 abschloss.
Sie erspielte sich mehrere Bundespreise beim Wettbewerb „Jugend musiziert“  mit ihrem Streichquartett, dem Lerchenquartett. Mit diesem erhielt sie auch zahlreiche Stipendien, z.B. von der Rudolf-Eberle-Stiftung für hochbegabte junge Streicher und hatte Auftritte in namhaften Konzertreihen, z.B. beim Oberstdorfer Musiksommer und bei der Gesellschaft für Neue Musik Mannheim. 2014 war sie Solistin der Herbsttournee des Landesjugendorchesters Baden-Württemberg. Wichtige Anregungen erhielt sie auf Meisterkursen u.a. bei Prof. Hansheinz Schneeberger, Prof. Ingolf Turban und bei Mitgliedern des Cuarteto Casals, des Alban Berg-, Mandelring-, Artemis- und des Melos-Quartetts. Kathrin Scheungraber spielt die Violine op. 166 von Martin Schleske aus dem Jahr 2012.

Sophie Scheungraber, geboren am 1992 in Filderstadt, absolvierte noch während der Schulzeit ein Jungstudium an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Peter Buck. Intensive Tätigkeit mit ihrem Streichquartett, dem Lerchenquartett. Auftritte bei zahlreichen Festivals und Konzertreihen wie Oberstdorfer Musiksommer, Casalmaggiore Musikfestival, Schloss Solitude Stuttgart und Mannheimer Gesellschaft für Neue Musik. Mehrfache Bundespreisträgerin „Jugend Musiziert“, Stipendien der Rudolph-Eberle-Stiftung, der Rotary Clubs Oberstdorf, Stuttgart und Bad Mergentheim, des Lions Club Stuttgart und der LBBW.
Cellostudium an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Claudio Bohórquez. Oktober 2015 Bachelorabschluss.

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Eintritt 14 € (erm. 8 €)

Karten sind ab 18.30 Uhr an der Abendkasse erhältlich.

Zusatzkonzert Samstag 23.04.2016 um 19 Uhr

Haus Rohrer Höhe – Begegnungsstätte Hans-Rehn-Stift, Musberger Str. 52, 70565 Stuttgart

„Axion esti“ von Mikis Theodorakis

Balsam für die griechische Seele

Nürtinger Zeitung v. 30. September 2015

Der Nürtinger „coro per resistencia“ führte Theodorakis’ Volksoratorium „Axion Esti“ auf

Vor dem „coro“: Dirigent Fabian Wöhrle, Sänger Dionysios Tsaousidis, Stefanos Psomas (erste Bouzouki), Nikolaos Kalantidis (zweite Bouzouki) und Klaus Wuckelt, Gitarre. Foto: Erika Kern

NÜRTINGEN. „Axion esti“, entstanden 1960, ist ein Volksoratorium, ein Oratorium für und über das griechische Volk, in dem die Geschichte Griechenlands, das nach der Befreiung Kretas im Jahr 1912 zu sich selber findet, eindrückliche Musik wird. In seiner kontrastreichen Komposition verschmilzt Mikis Theodorakis unterschiedliche Stilmittel aus Gegenwart und griechischer Tradition: avantgardistische Musik der Nachkriegsjahre, griechisch-orthodoxe Liturgie, klassisches Sinfonieorchester sowie Volksmusik werden zu einer neuen revolutionären griechischen Musiksprache.

Dieses Werk wurde letzten Sonntag in der voll besetzten Rudolf-Steiner-Schule in Nürtingen unter der Leitung von Fabian Wöhrle aufgeführt. Wöhrle hat im April dieses Jahres die Leitung des Nürtinger Kammerchores „coro per resistencia“ übernommen; der hatte sich in seinen Anfangsjahren bereits mit der Chorliteratur von Mikis Theodorakis auseinandergesetzt. Unter Wöhrles sensiblem, tänzerisch leichtem Dirigat entfalteten der Chor und der Klangkörper des Sinfonieorchesters das in der Originalsprache gesungene Werk in ausdrucksstarken Stimmungsbildern, zusammen mit Schlagzeug, Gitarre, Santouri (Hackbrett) und Bouzouki – mit der griechischen Langhalslaute werden Volkslieder und Tänze begleitet.

Religiöse Assoziationen sowie der Titel „Axion esti“, „Gepriesen sei“, legen die Formbezeichnung Oratorium nahe. Vorlage für Theodorakis war das bilderreiche Langgedicht von Odysseas Elytis (1911 bis 1996). Es ist geprägt durch ein Ineinandergehen von antiken, kosmischen, biblischen und mythischen Bildern; dessen Dreigliederung behält der Komponist bei: Genesis (Schöpfung), Passion (Leiden und Tod) und Großer Lobgesang (Ewigkeit).

Mit „Axion esti“ hatte Elytis einen neuen griechischen Mythos geschaffen, in dem Gerechtigkeit, Frieden und Liebe – das absolute Licht – tragende Elemente für eine Welt nach dem großen Krieg sind, in der es sich zu leben lohnt, in dem die Tage nicht durch die Schrecken barbarischen, menschenvernichtenden Handelns geprägt sind und in dem die griechische Nation in Freiheit atmen kann.

Zehn Jahre arbeitete der vom Surrealismus geprägte Lyriker und spätere Nobelpreisträger an diesem 1958 erschienenen Werk; 1960 bekam er dafür den Staatspreis für Lyrik. Im gleichen Jahr erhält Theodorakis dieses Gedicht. Er ist damals im Exil in Paris. Der Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus und in der Zeit danach, für seine politische Haltung inhaftiert und gefoltert, vertont Teile daraus. Das Werk wird bereits 1964 in Griechenland aufgeführt, danach ist es Kultmusik. 1982 wurde das in seiner musikalischen Struktur bewusst einfach angelegte Werk in einer deutschen Übertragung in der damaligen DDR, in Dresden und Leipzig, aufgeführt. Ein Jahr später führte es der „coro per resistencia“ in der Nürtinger Kreuzkirche auf.

Für die jetzige Aufführung gab es zahlreiche Anlässe: 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 32 Jahre nach der ersten Aufführung in Nürtingen, und zugleich sollte sie eine Hommage an den am 29. Juli dieses Jahres 90 Jahre alt gewordenen Komponisten, Schriftsteller, Politiker und griechischen Volkshelden sein.

Es ergab sich eine emotional dichte Atmosphäre

Es war eine Aufführung, die die Besucherinnen und Besucher auf vielfältige Weise anrührte und berührte. Das zeigte sich im Beifall nach einzelnen Teilen, vor allem denen mit volksliedhaftem Charakter – wie „Ena to helidoni“ („Nur eine einzige Schwalbe“) oder „Tis agapis emata“ („Blutstrom der Liebe“) – und im frenetischen Schlussapplaus, der sich dann bei den beiden Dreingaben zum begeisterten Mitklatschen steigerte.

Diese Aufführung machte deutlich, dass Musik mehr ist als ästhetischer Genuss, dass in ihr die Energie des Widerständigen steckt und das Komponieren auch zu einer Überlebenshilfe werden kann, weil in ihr eine veränderbare und bessere Zukunft hörbare, fühlbare und erlebbare Wirklichkeit werden kann – und diese ist ansteckend.

Die an den Chor hohen Anspruch stellenden rhythmisch gesprochenen Textteile wurden überzeugend und wo nötig mit dramatischer Wucht gestaltet, die sanglich einfacheren Partien des Chores ergaben mit dem klassischen Orchesterklang und den aus der traditionellen griechischen Musik kommenden Instrumenten eine emotional dichte Atmosphäre.

Der Dirigent hatte einen Solisten mit großer Sensibilität und Ausdruckskraft gewinnen können: Den 28-jährigen Bassisten Dionysios Tsaousidis, der die Baritonlage des Solisten und den Part des Volkssängers stimmlich hervorragend gestaltete; erst kürzlich hat er in Moers den Schubert-Preis der Deutschen Schubert-Gesellschaft erhalten.

Die drei Rezitative der Passion „Der Marsch zur Front“, „Der große Auszug“ und „Prophetie“ deklamierte wohltuend zurückgenommen und sehr konzentriert Patrick Suhm. Wer der neugriechischen Sprache nicht mächtig war, der hörte Tonbilder, die zu Stimmungs- und Seelenbildern wurden, der erlebte die identitätsstiftende und verbindende Wirkung von Musik, der tauchte ein in eine dichte Atmosphäre aus Anklängen an Tonmalerei, Programmmusik, hymnischem Gesang und traditioneller Volksmusik und war fasziniert von den realen Klangraumschichten, in denen auf der Bühne der Waldorfschule dieses Werk sich zum apotheosegleichen Schluss steigerte.

Am Anfang befreit sich die Komposition aus dem „Chaos“ avantgardistischer Atonalität; im dritten Teil über dem Fundament des „Tsamikos“, eines neugriechischen Tanzes im Dreivierteltakt, bringt sie den neuen Musikstil zum Strahlen – auch das Befreiung und Balsam für die griechische Seele. So endet das Werk mit „Jetzt der Götter Erniedrigung, des Menschen versinkende Asche / Jetzt ist das Nichts / und Ewig die Welt die kleine die GROSSE!“.

 

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Am 27. September wird der coro in der Nürtinger Waldorfschule das Volksoratorium „Axion esti“ von Mikis Theodorakis, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag feiern kann, aufführen. Karten für dieses Konzert können ab sofort per Mail unter karten@coro-nuertingen.de reserviert werden.

15-08-26_Plakat_Axion Esti A4Mikis Theodorakis hat das Werk nach Texten des Literatur-Nobelpreisträgers Odysseas Elytis komponiert. Der Text erzählt die Geschichte Griechenlands. Mikis Theodorakis bezeichnete das Werk als „eine Bibel des griechischen Volkes“. Theodorakis erhielt den Text  im Frühjahr 1960 im Exil in Paris. In wenigen Tagen entstand das Material für das Oratorium. Die Musik ist geprägt von Elementen der griechischen Volksmusik. Theodorakis gelingt es, seine Erlebnisse und Gefühle in seinem Kampf gegen Ungerechtigkeit und den Widerstand gegen die Diktatur in seiner Musik auszudrücken. Revolutionär neu für die griechische Musik ist die Verbindung der griechischen Volksintrumente mit den Instrumenten des klassischen sinfonischen Orchesters.

Kein Zuhörer kann sich der Faszination und Intensität dieser ungeheuer kraftvollen und zugleich melancholischen Musik entziehen.

 

 

Ausführende:
Dionysios Tsaousidis (Bariton, Volkssänger)
Patrick Suhm (Sprecher)
Orchester und Volksmusikensemble
coro per resistencia
Leitung: Fabian Wöhrle

Eintritt: 18/12 Euro

Karten für dieses Konzert sind im Stadtbüro der Nürtinger Zeitung, Am Obertor 15,  Telefon 07022/ 94 64 – 150 (Öffnungszeiten Mo.-Fr. 8.00 – 18.00 Uhr, Sa. 8.00 – 12.00 Uhr) erhältlich und können unter karten@coro-nuertingen.de reserviert werden.

Fabian Wöhrle neuer Chorleiter

Im April 2015 hat Fabian Wöhrle die Leitung des coro per resistencia übernommen.

Fabian Wöhrle schFabian Wöhrleloss sein Kirchenmusikstudium (B+A) an der Hochschule für Musikund Darstellende Kunst in Stuttgart im Frühjahr 2009 mit Auszeichnung in den Fächern Chor- und Orchesterleitung ab. Prägende Lehrer waren hierbei Prof. Bernhard Haas (Orgel), Prof. Dieter Kurz (Dirigieren), Isolde Assenheimer und GiselaKrenkel (Gesang).  Als Cembalist und Organist war er von 2007-2011 Mitglied im „Ensemble Cordial“, das auf barockem Instrumentarium vornehmlich Triosonaten unbekannter süddeutscher Meister erarbeitet. Die Mitglieder dieses Ensembles sind Stipendiaten bei „Live-Music-Now“, traten bei Festspielen auf (u.a. Europäische Kirchenmusik 2011) und produzierten für den SWR.

Als Leiter des Esslinger Kammerchors (2005-2014) und Organisator von ad-hoc-Chorprojekten hat Fabian Wöhrle neben a-cappella-Musik auch chorsinfonisches Repertoire dirigiert, so Händels Messiah, Bachs Matthäus-Passion, Beethovens Messe in C-Dur und Mendelssohns Paulus. Das Dirigierstudium an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar bei denProfessoren Anthony Bramall und Gunther Kahlert endete im Frühjahr 2011 und enthielt die Möglichkeit, als Dirigent und Korrepetitor mit den Jenaer Philharmonikern, am Landestheater Eisenach („Das Feuerwerk“ – Koproduktion mit der Musikhochschule Weimar, Assistenz und Nachdirigate) und am Deutschen Nationaltheater Weimar (Korrepetition von Eugen Onegin und der Choroper „Angst“) zu arbeiten.

Ab der Spielzeit 2010/11 war er als Assistent des Chordirektors mit Dirigierverpflichtung und Verpflichtung zur Solorepetition am Deutschen Nationaltheater Weimar engagiert. Zudem ist er seit 2012  Orchesterdozent bei der Kinder-undJugendfreizeit des IAM in Eschwege.

Seit April 2014 Mitarbeiter im Bezirkskantorat der Stadtkirche Ludwigsburg. Zudem leitet er den Göppinger Kammerchor.

Felix Meybier verabschiedet

1390476336_schuler-meybier,felix(c)kerstinsaengerSeit Februar ist unser Chorleiter Felix Meybier neuer Chordirektor des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München.  Er hat die Leitung des Chores des Staatstheaters am Gärtnerplatz am 1. Februar von seinem Vorgänger Jörn Hinnerk Andresen übernommen, der an die Semperoper Dresden wechselt. Wir gratulieren Felix Meybier natürlich ganz herzlich zu diesem Erfolg, leider ist damit aber der Abschied von unserem Chorleiter verbunden. Die neue Aufgabe als Chordirektor und Kapellmeister erlaubt es ihm leider nicht mehr, regelmäßig von München nach Nürtingen zu den Proben zu fahren. Bei der Mitgliederversammlung hieß es deshalb vor einigen Tagen, Abschied zu nehmen und Dank zu sagen für knapp fünf überaus erfolgreiche gemeinsame Jahre.

Gilgamesch NZ

Nürtinger Zeitung v. 9. Febr. 2015

In der Urzeit des menschlichen Bewusstseins

Der Nürtinger Chor „coro per resistencia“ heimste für die Aufführung des Oratoriums „Das Gilgamesch-Epos“ mit seinen Partnern minutenlang Applaus ein

Von Heinz Böhler

NÜRTINGEN. Es steht nicht obenan auf den Spielplänen der großen Musikhäuser dieser Welt. Vielleicht hat sich eben darum, zumindest aber trotzdem, der Nürtinger Chor „coro per resistencia“ des dreiteiligen Oratoriums „Das Gilgamesch-Epos“ von Bohuslav Martinů angenommen.

Da sich Chorleiter Felix Schuler-Meybier ebenso wie seine Mitstreiter darüber im Klaren war, dass ein solches Projekt für das Nürtinger Gesangensemble nicht allein zu stemmen gewesen wäre, tat man sich für die Aufführung am vergangenen Samstag in der bis auf den letzten Platz besetzten Nürtinger Johanneskirche mit dem Münchner Regenbogenchor und der Munich International Choral Society sowie den Musikern des Stuttgarter Orchesters Musica Viva zusammen.

Musica Viva, ebenfalls unter Schuler-Meybiers Leitung, bereiteten die Zuhörer mit der „Unanswered Question“ von Charles Ives und dem „Adagietto“ aus Gustav Mahlers fünfter Symphonie auf die mythisch-bewegte Stimmung des darauf folgenden Zeitsprungs in die Urzeit menschlichen Bewusstseins vor. Als Solisten konnten die Sopranistin Fanie Antonelou, Johannes Kaleschke (Tenor), Johannes Mooser (Bariton) und Bassist Jens Paulus gewonnen werden.

Als Wiege der Menschheit gilt das Gebiet um Euphrat und Tigris, das fruchtbare Zweistromland im heutigen Irak, wo vor 5000 Jahren die Mauern der Stadt Uruk der angrenzenden Wildnis trotzten. Um deren angeblichen Erbauer Gilgamesch ranken sich Mythen, die vor Zeiten einer, der die sumerische Keilschrift beherrschte, zu jenem Epos zusammenfasste, das heute als „Gilgamesch-Epos“ eines der ersten schriftlichen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte darstellt.

Gilgamesch, Beherrscher der Stadt, droht übermütig zu werden. Deshalb stellt ihm die Göttin ein Wesen entgegen, von ihr selbst aus Lehm geformt, Leben eingehaucht in einsamer Öde: Enkidu! „Nicht kennt er Menschen noch Land. Mit den Gazellen pflegt er im Garten zu weiden.“ Eine Frau lässt ihn die Unschuld verlieren, das Paradies (die Herde) mit der Zivilisation vertauschen, nachdem sich die Gewalten – Gilgamesch und Enkidu – im Kampf die Waage hielten und Freundschaft schlossen.

Neben dem Chor (das Volk und Kommentator des Geschehens) vertritt als Erzähler Johannes Hitzelberger die Position des über den Dingen sich bewegenden Autors. Johannes Moosers Bariton verleiht den von Gilgamesch ausgestandenen Gefühlen und Ängsten die gebotene Fülle, und Fanie Antonelous Sopran verleiht den Verlockungen des Weibes an der Quelle und der Zivilisation jenes verführerische Moment, das wir auch heute noch aus der kommerziellen Werbung – in variierten Formen, versteht sich – zur Genüge kennen, und des Chores geballte Kraft lässt dem Kind der Wildnis, eben Enkidu, fast keine Wahl.

Mehr als 60 Stimmen aller Lagen peitschen die Kämpfer an und begleiten nach Enkidus Tod den verzweifelt trauernden Helden, bis es diesem im dritten Akt gelingt, den Geist des Toten zu beschwören und ihn nach dem Wesen des Jenseits zu befragen. „Ich sah“ und „Ja, ich sah“ ist alles, was sich dessen von Jens Paulus’ Bass belebten Lippen noch entlocken lässt, bevor in einem leiser werdenden Echo des Chores diese dem Lebenden mitgeteilte Erkenntnis des schwindenden Geistes allmählich verebbt.

Sekunden nach dem Verklingen des letzten musikalischen Lautes löste sich auch die im Publikum durch die geniale musikalische Dramaturgie des Komponisten und deren, man darf das so sagen, kongeniale Umsetzung der Akteure angestaute Spannung. Minutenlang anhaltender Beifall und ein Extra-Applaus für Solisten und Felix Schuler-Meybier sowie für die beteiligten Ensemble als solche ließen einen denkwürdigen Konzertabend ausklingen, der sich in der Reihe der regelmäßig für Aufsehen sorgenden Konzerte des Nürtinger Chores und seiner befreundeten Klangkörper, mit denen er das Konzert am 1. März auch in München aufführen wird, sicher nicht hinten einordnen muss.

 

Gilgamesch-Epos

Am kommenden Samstag, 7. Februar, wird der coro per resistencia gemeinsam mit den Münchner Chören MiCS (Munich International Choral Society) und Regenbogenchor in der Nürtinger Johanneskirche das Gilgamesch-Epos von Bohuslav Martinů aufführen. Zusätzlich zur Nürtinger Aufführung wird es am 1. März ein zweites Konzert in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München geben. Karten für die Nürtinger Aufführung sind noch bis Freitag im Stadtbüro der Nürtinger Zeitung, Am Obertor 15, Tel. 07022 9464 -150, www.ntz.de/tickets,  unter karten@coro-nuertingen.de sowie am Samstag ab 18 Uhr an der Abendkasse erhältlich. Karten für das Konzert in München unter www.muenchenticket.de.

Gilgamesch_internet

Gleich vier Ensembles haben sich zusammengeschlossen, um mit „Gilgamesch“ ein zentrales Werk für Chor und Orchester des 20. Jahrhunderts aufzuführen: Der coro per resistencia aus Nürtingen, die Munich International Choral Society, der Regenbogenchor München und das Orchester Musica Viva Stuttgart bündeln ihre musikalische Kräfte, um die schillernde Vertonung von Episoden aus dem frühesten bekannten Epos der Menschheit durch den tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu (1890-1959) in der deutschsprachige Fassung zu Gehör zu bringen.

Bereits in den 1920er Jahren befasste Martinu sich in der Ballettmusik „Istar“ mit Stoff aus dem altertümlichen Zweistromland. In seiner letzten Schaffensphase – nach einem bewegten Leben, das ihn nach Frankreich, ab 1940 in die USA und später wieder nach Europa führte – komponierte er dann „Das Gilgamesch-Epos“. Dieses der Schweizer Mäzenin Maja Sacher gewidmete Werk wurde 1958 in Basel uraufgeführt. Plastisch und mit sehr einprägsamen, teilweise durch den Jazz inspirierten Rhythmen und Harmonien schildert Martinu die uralte Geschichte, die universale Themen unseres Seins berührt: Es geht um Macht, Freundschaft und die Frage nach dem Leben nach dem Tod. Im ersten Abschnitt wird Gilgamesch, der König von Uruk, mittels differenzierter Perkussion und schneller Gesangsfolgen präsentiert. Der Chor, der das Volk symbolisiert, berichtet vom ungerechten Umgang des Gewaltherrschers mit seinen Untertanen. Mit einem sehr viel weicheren musikalischen Duktus wird sein Gegenpart, der Naturmensch Enkidu, vorgestellt. Nach einem heftigen Streit versöhnen sich die beiden. Von nun an verbindet sie eine enge Freundschaft. Doch Enkidu erkrankt und stirbt. Mit einem durch Streicher begleiteten Choralsatz fasst der Chor zusammen: „Wen, mein Freund, vernichtet nie der Tod? Nur Götter leben ewig, die Tage der Menschen sind gezählt“. Im letzten Abschnitt sucht Gilgamesch unversöhnlich und verzweifelt seinen Freund wiederzufinden. Er will wissen, welche Erfahrungen Enkidu nach dem Tod gemacht hat. Auf dem musikalischen Höhepunkt rufen Chor und Solisten in einer Art musikalischen Rausch „Enkidu, steig aus dem Grab, steig aus dem Grab“.

Vor „Gilgamesch“ erklingen zwei kürzere Orchesterwerke. Charles Ives „The Unanswered Question“ (1906) trägt den Untertitel „Eine Betrachtung einer ernsthaften Angelegenheit“. Die Trompetenstimme hebt immer wieder mit einem fünf Töne umfassenden Motiv an, eine Wendung, die oft als eine Art „Sinnfrage“ beschrieben wird. „Seelenvoll“ und „mit innigster Empfindung“ beschreibt Gustav Mahler den Vortrag an bestimmten Stellen in seiner „Adagietto“ aus der Symphonie Nr. 5 (1901). Ergänzt durch die Solo-Harfe bringen die Streicher die menschliche Sehnsucht im Zeitlupentempo und mit den erhabensten harmonischen Folgen zum Ausdruck. Die Konzertabende finden unter der Leitung von Felix Schuler-Meybier (Nürtingen) und Mary Ellen Kitchens (München) statt.

„Das Gilgamesch-Epos ist eine große assyrisch-babylonische Dichtung, die in Keilschrift auf Tontafeln aufgezeichnet wurde, die wahrscheinlich aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. oder vielleicht aus noch früherer Zeit stammen…

…Trotz der gewaltigen Fortschritte, die wir in Technik und Industrie gemacht haben, fand ich, dass die Gefühle und Fragen, die die Menschen bewegen, sich nicht verändert haben und dass sie in der Literatur der ältesten Völker, von denen wir Kunde haben, ebenso vorhanden sind wie in der unseren. Es sind Fragen der Freundschaft, der Liebe und des Todes. In dem Gilgamesch-Epos wird sehr intensiv und mit fast schmerzhafter Ängstlichkeit der Wunsch laut, die Antworten auf jene Fragen zu finden, Antworten, nach denen wir bis jetzt vergebens suchen.

Meine Komposition befasst sich mit den folgenden Ereignissen: Gilgamesch, der große König von Uruk, wird gefürchtet und verehrt wie ein Gott. Er schließt Freundschaft mit Enkidu, einem merkwürdigen Manne. Enkidu ist der ursprüngliche Mensch im Naturzustand. Er hat lange in Unwissenheit und Sorglosigkeit gelebt. Die Tiere, die er verteidigte, waren seine Freunde. – Um diesen gefährlichen Widersacher zu gewinnen, sandte Gilgamesch eine Frau zu ihm, eine Tänzerin aus dem Tempel der Istar, die ihn verführte. Als Enkidu seine Unschuld verloren hatte, fürchteten ihn die Tiere und flohen bei seinem Nahen. Er folgt der Frau in die Stadt, in der man Brot isst und Wein trinkt und in der es Tänze und Feste gibt. Seine Lebensweise ändert sich rasch, aber er begreift auch, dass er arbeiten muss, um seinen Unterhalt zu verdienen. Er wird ganz bleich, und es kommt ein Augenblick, in dem er mit Bedauern an seine Jugend zurückdenkt. Er kämpft gegen Gilgamesch, aber schließlich werden die beiden Waffenbrüder. Die beiden Helden schließen enge Freundschaft.

Eines Tages wird Enkidu krank. Gilgamesch beobachtet ihn – einen Tag, zwei Tage, elf Tage; aber er rührt sich nicht, er ist tot. Die ihm wesensfremde Frage des Sterbens erhebt sich vor Gilgamesch. Er begreift nicht, dass Enkidu für immer von ihm gegangen ist, „ dass es die Erde war, die ihn nahm“. Er beginnt, um sich selbst zu fürchten, um sein Leben. Er bittet die Götter, ihm seinen Freund zurückzugeben, aber die Götter bleiben stumm, er erhält keine Antwort. Gilgamesch macht sich auf, die Unsterblichkeit zu suchen, aber er weiß jetzt: „ Nur Götter leben ewig, die Tage des Menschen sind gezählt. Freue dich deshalb, Tag und Nacht, sei glücklich und zufrieden, Nacht und Tag.“

Er stößt leidenschaftliche Bitten aus, er fleht die Götter an, ihm zu gestatten, seinen Freund Enkidu wenigstens für einen Augenblick wiederzusehen. Durch die Kraft seiner Beschwörung öffnet sich die Erde, und der Geist des Enkidu erscheint wie ein Hauch. Gilgamesch fragt ihn angstvoll darüber aus, was er in jener anderen, unbekannten Welt gesehen hat. Mit diesem pathetischen und höchst düsteren Monolog schließt das Epos.“

Bohuslav Martinů

 

Ein Konzert zum Nachdenken

von Heike Weis 

Nürtinger Zeitung v. 27.05.2014

Der coro per resistencia verlieh in einem eindrucksvollen Benefizkonzert der Suche nach Frieden Ausdruck

Der coro per resistencia bei seinem Konzert „Platz für Frieden“ im Saal der Rudolf-Steiner-Schule Foto: hwe

NÜRTINGEN. „Platz für Frieden“ lautete der Titel des Konzertprogramms, mit dem der Nürtinger Chor „coro per resistencia“ am Sonntagabend den Saal der Rudolf-Steiner-Schule füllte. Ein Programm, das nicht nur musikalisch anspruchsvoll war, sondern auch inhaltlich viel zu sagen hatte. Im Zentrum von wütenden Protestchören und dem sehnsuchtsvollen Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit standen zentrale Plätze, die in der vergangenen Zeit so häufig zum Synonym für Widerstand geworden sind – angefangen beim Tian’anmen über den Tahrir, Taksim und zuletzt Maidan.

So war es konsequent, dass die Erlöse des Konzerts in der Steiner-Schule (eine Woche zuvor sang der Chor in Stuttgart-Rohr) an das Netzwerk Flüchtlingsarbeit Nürtingen gingen. Julia Rieger dankte zum Auftakt dem coro per resistencia für die Unterstützung des Netzwerkes, mit dem Hinweis: „Es gibt viele Gründe und Konflikte, die Menschen dazu bringen, ihr Land zu verlassen und sich auf den Weg zu machen.“ Verwendet würden die Spenden für Sprachförderung, Alphabetisierungskurse, Rechtsbeistand, Begleitung im Alltag oder auch Nachbarschaftsfeste in der Seegrasspinnerei.

Die Konflikte in der Welt auf sehr unterschiedliche Weise beleuchtet

Im a cappella gesungenen Konzertprogramm wurden diese Konflikte auf sehr unterschiedliche Weise beleuchtet und unter der Leitung von Felix Schuler-Meybier hervorragend herausgearbeitet. Auf ein im präzisen Staccato herausgerufenes „Immer mehr Land“ folgte im weichen Legato das Kyrie aus der „Missa da pacem“ von Josquin Desprez, das zunehmend an Intensität gewann. Bei Hanns Eislers „Auf den Straßen zu singen“ wechselte der beschwingte Marsch der Arbeiter „Auf Ihr Brüder! Vorwärts Brüder!“ mit einem ruhigeren Rückblick bis hin zum gewaltigen Finale. Im vierstimmigen Frauenchorsatz „Tian an men“ in italienischer Sprache durchlebt eine Zuschauerin ein emotionales Auf und Ab bei den Fernsehbildern zum Studentenmassaker. Auch diese sehr anspruchsvollen Harmonien meisterten die Frauen des coro per resistencia, wobei die kraftvollen Altstimmen das Fundament legten.

Mit dem auf der Lyrik von Native Americans basierenden „Earth Call“ der schwedischen Komponistin Karin Höghielm wagte sich der Chor auch an eine deutsche Erstaufführung. Die sehr interessante Komposition im Stile einer Meditation stellte harmonisch und intonatorisch höchste Anforderungen.

Zu den beeindruckendsten Vorträgen des Abends zählte „Warning to the Rich“ von Thomas Jennefelt, eine Vertonung des biblischen Briefes des Jakobus. Zum Summen der Männer- und Altstimmen flüsterten die Soprane zunächst den Text zur Vergänglichkeit des Reichtums bis hin zum wütenden Aufschrei. Eindrucksvoll gaben die Dissonanzen die wütende Stimmung wieder, gefolgt von einem stimmlich brillanten wie auch ausdrucksstark vorgetragenen Basssolo. Sehr gelungen klang das Stück im zart gesummten Piano der Bässe aus. Auch alle weiteren Werke des Abends meisterte der Chor mit rundem, ausgewogenem Chorklang und großer Homogenität. Äußerst konzentriert folgten die Sängerinnen und Sänger dem präzisen Dirigat von Felix Schuler-Meybier. So wurden die häufigen Stimmungswechsel dynamisch nuanciert umgesetzt und der Chor wahrte bis zum letzten Ton seine Spannung.

Hervorragend ergänzt wurden die Chorwerke durch von Jurate Braginaite eindringlich vorgetragene Texte internationaler Autorinnen und Autoren, zum Beispiel von DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer oder den Friedensnobelpreisträgerinnen Schirin Ebadi (Iran) und Rigoberta Menchú Tum (Guatemala). Und auch Percussionist Ákos Nagy konnte mit dem mitreißenden Solo auf der Snare Drum „A minute of news“ großen Beifall ernten und verzauberte das Publikum bei „Midnight star“ auf dem Vibrafon.

Am Ende des 90-minütigen Konzerts forderten die Zuschauer im gut besetzten Saal der Rudolf-Steiner-Schule nachdrücklich eine Zugabe. Diesem Wunsch kam der coro per resistencia gerne mit einer Wiederholung des Brahmsliedes „Beherzigung“ nach – ein gelungener Abschluss eines Konzertes, das zum Nachdenken anregte.